Burnout-Syndrom - Heilung durch Bewusstseinsschulung?
von Gerhard Himmel
Der Patient, männlich, 49 Jahre, mittelgroß, von asthenischer Körpergestalt, kam im April 1999 in meine Praxis. Er klagte über massive Schlafprobleme und Ängste. Seit zirka dreieinhalb Jahren finde er keinen erholsamen Schlaf mehr. Zwar könne er schlafen, fühle sich aber niemals erholt und ausgeruht. Ständig sei er erschöpft und leide außerdem an massiven depressiven Ängsten, die so weit gingen, dass er sich nicht einmal traue einkaufen zu gehen. Seine Tochter erledige das oft für ihn. Die Tochter habe ihm auch schon öfter angeboten, mit ihm in den Urlaub zu fahren, aber obwohl er sich sehr danach sehne zu reisen, traue er sich nicht – aus Angst, dem nicht gewachsen zu sein. Er führt seine Problematik zurück auf einen Nervenzusammenbruch vor vier Jahren und bezeichnet es als "Burnout-Syndrom". Er hatte eine gut gehende Arztpraxis, wo er bis spät abends mit vollem Energieeinsatz arbeitete, auch teilweise nachts. Er habe sich nie richtig eine Ruhepause gegönnt und auch die Familie vernachlässigt. Seine Frau habe sich daraufhin von ihm scheiden lassen. In dieser Zeit ist es dann zu einem Nervenzusammenbruch gekommen mit Einweisung in eine psychosomatische Klinik. Seither ist es ihm nicht mehr möglich gewesen zu arbeiten, und er musste die Praxis aufgeben. Inzwischen habe er schon alles Mögliche versucht, seine Ängste, Erschöpfung und Schlafprobleme in den Griff zu bekommen. Nach vergeblichen Bemühungen der Schulmedizin habe er auch einen klassischen Homöopathen konsultiert, leider ohne Erfolg. Auch habe er seine Wohnung auf geopathische Störungen, auf Elektrosmog untersuchen lassen und saniert. Auch autogenes Training habe nicht angeschlagen. Er komme auf Empfehlung, in der Hoffnung wenigstens wieder einen erholsamen Schlaf finden zu können. Dieser Fall stellte mich zunächst vor ein großes Problem, da ich bisher selbst hauptsächlich klassisch homöopathisch gearbeitet hatte und weder Fehler in der Vorgehensweise des vorher konsultierten Homöopathen erkennen noch eine Idee für ein anderes Homöopathikum entwickeln konnte. Durch die Auseinandersetzung mit Yoga und aus eigener Erfahrung wusste ich, dass die Qualität des Schlafes stark von der Wachheit des Tagesbewusstseins und vor allem auch von dem Inhalt des Tagesbewusstseins abhängig ist. Meine Überlegung ging dahin, Anregungen zu einer Auseinandersetzung mit Gedankeninhalten zu vermitteln, die aus einer zeitgemäßen spirituellen Quelle stammen (unter zeitgemäßer spiritueller Quelle verstehe ich z.B.: Originalliteratur von Rudolf Steiner, Heinz Grill, Sri Aurobindo und Edward Bach). Diese Anregungen mussten auf die Schwäche im Nervensystem mit den damit verbundenen Konzentrationsstörungen des Patienten abgestimmt sein, damit einerseits eine Anforderung an das Bewusstsein zu einer Stärkung und Erweiterung desselben führt, andererseits keine Überforderung zu Frustration und noch mehr Schwäche beiträgt. Dem Patienten schlug ich daher vor, zunächst für zwei Monate zweimal wöchentlich zu Übungen der freien Atemschulung in die Praxis zu kommen. Die Übungseinheiten dauerten etwa eine halbe Stunde und setzen sich zusammen aus einfachen Körperübungen des Yoga mit einer Entspannungslage am Ende, während der das Empfinden in ruhiger Betrachtung auf bestimmte Atemzentren gelenkt wird, verbunden mit passenden Gedankeninhalten. Z.B. wird der Übende angehalten, das Empfinden aufmerksam auf die Herzregion zu lenken und gleichzeitig den Gedanken zu denken: "Dies ist der Ort der Innerlichkeit." (Die Anregungen zu dieser Übungsweise stammen aus den Werken von Heinz Grill.) Parallel dazu verordnete ich Acidum phosphoricum in der 6. Potenz zur Unterstützung. In die sechste Übungsstunde kam der Patient voll Freude und berichtete, dass er die beiden letzten Tage mit dem Gefühl aufgewacht sei, endlich mal wieder richtig geschlafen zu haben. Er wollte wissen, woher die Übungen zur Atemschulung stammen und ob es Literatur zum Atem und den Zusammenhängen mit den Übungen gebe. Ich empfahl daraufhin "Harmonie im Atmen" von Heinz Grill. Nach insgesamt zehn Übungseinheiten verabschiedete sich der Patient, da er die Übungen nun zu hause weiterführen könne. Das Buch finde er sehr interessant, und er habe das Gefühl, nach der Lektüre gestärkt zu sein und insgesamt besser mit seinen Ängsten umgehen zu können. Bei einem zufälligen Treffen etwa anderthalb Jahre später erzählte er mir, dass er wieder arbeite, allerdings in einem Angestelltenverhältnis. Der Schlaf und die psychische Stabilität seien wesentlich besser und das Thema Atem nach wie vor spannend für ihn. Der heilende Einfluss in dieser Krankengeschichte und in denen, die ich später im Zusammenhang mit der freien Atemschulung noch beobachten konnte, kommt meines Erachtens weniger aus den Übungen selbst als vielmehr aus der Eigenaktivität, dem Interesse und der Beziehung, die der Übende zur Sache aufbaut. Zwar haben die Übungen selbst einen förderlichen Einfluss auf die Gesundheit, doch einen dauerhaften Erfolg konnte ich bisher nur bei Patienten beobachten, bei denen ein Interesse geweckt wurde, das unabhängig von den eigenen Beschwerden zu einer neuen, individuellen Bewusstseinsausrichtung führt. Literatur: - "Harmonie im Atmen" Heinz Grill, Hugendubel Verlag, ISBN 3-88034-686-0. - "Die geistige Bedeutung des Schlafes" Heinz Grill, Lammers-Koll-Verlag, "Makrokosmos und Mikrokosmos" Rudolf Steiner, Rudolf Steiner Verlag,
© Gerhard Himmel www.kosmosoph.de
Dienstag, 21. April 2009
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